Samstag, der 14. Juni 2025, kurz nach 22 Uhr. Ich filme mit meinem Smartphone meine Garmin-Sportuhr. Seit etwas mehr als 24 Stunden läuft dort bereits eine Aktivität und gleich ist es soweit. Dann durchbreche ich für mich diese besondere Schallmauer und das möchte ich festhalten. Das ist jedoch nicht so einfach, denn in der Dunkelheit kann ich die Uhr nur ablesen, wenn die Beleuchtung eingeschaltet ist. Und die schaltet sich immer nach ein paar Sekunden automatisch aus. Da meine Konzentration nicht mehr die beste ist, ist das gesamte Unterfangen eine echte Herausforderung für mich. Doch es klappt und so kann ich die entscheidenden Sekunden filmen, in denen meine Uhr von 99,99 km auf 100,00 km umspringt.


Mondlandung! Wahnsinn! 100 Kilometer! Zu Fuß und am Stück. Hätte mir zu diesem Zeitpunkt jemand ins Gesicht geschaut, hätte man ein müdes, aber sehr glückliches Gesicht gesehen. Nun trennte mich nur noch ein letzter Kilometer vom Ziel des Zugspitz Ultratrails.
Doch vor dem Ziel kommt der Start. Und der Start dieser Geschichte beginnt zwei Tage zuvor.
Vorgeplänkel
Am Donnerstagmittag hatte ich mich mit meinem guten Freund Christian auf den Weg nach Garmisch-Partenkirchen gemacht. Er hatte Zeit und Lust, mich auf der Reise zu begleiten und mich vor Ort zu unterstützen. Viele der Bilder in diesem Artikel stammen von ihm, denn er hatte seine Kamera dabei und weiß damit umzugehen.
Unsere Anreise verlief ohne größere Verzögerungen, sodass wir nach gut vier Stunden Fahrt standesgemäß im Atlas Grand Hotel im Zentrum von Garmisch-Partenkirchen einchecken konnten. Das Hotel allein war schon eine Attraktion für sich. Es ist ein historisches Gebäude mit viel Stuck und exklusiven Suiten, die beispielsweise nach Sissi benannt sind. Wir hatten allerdings nur ein Doppelzimmer ohne Stuck und Blattgold. Ich hatte das Zimmer direkt nach unserer Anmeldung gebucht. Damals war das noch das einzige halbwegs bezahlbare Hotel im Ort.




Am Abend gingen wir noch kurz auf die Expo, um die Startunterlagen zu holen und etwas zu essen. Außerdem schauten wir uns um 20 Uhr den Start des 100-Meilen-Rennens an, das in diesem Jahr seine Premiere feierte. Danach gingen wir zeitig ins Bett. Mein Start sollte am Freitagabend um 22 Uhr erfolgen. Schlaf war wichtig, und bei einem Start am späten Abend wollte ich in der Nacht davor so viel wie möglich schlafen. Das klappte auch ganz gut.




Mein Renntag begann mit einem ausgiebigen Frühstück und einem älteren Herrn, der Christian und mich fragte, was denn eigentlich in der Stadt los sei. Nachdem wir es ihm erklärt hatten, schaute er uns ungläubig an. 100 Kilometer? Am Stück? Vermutlich hatten wir ihm da etwas erzählt, dass ihn noch eine Weile beschäftigen sollte.
Die Zeit bis zum Start vertrieben wir uns mit weiterem Essen, einem Bummel über die Expo und dem Packen meines Laufrucksacks und des Dropbags. Bei so einem langen Rennen benötigt man eine Menge Ausrüstung. Der Veranstalter schrieb unter anderem eine Regenjacke, lange Wechselkleidung, eine Stirnlampe und eine Notfallausrüstung vor. Dazu kamen dann noch meine Getränke sowie eine Auswahl an Riegeln und Gels.
Den Dropbag konnte man vor dem Start abgeben und dann wurde er zum Verpflegungspunkt 5, kurz V5 transportiert. Das war in etwa bei der Hälfte der Strecke.





Gegen 15 Uhr legte ich mich mit Ohrstöpseln und Schlafmaske für drei Stunden schlafen. Danach gab Kaffee, Reis mit Tomatensoße und dann hieß es warten.
In den Tagen vor dem Rennen war ich sehr nervös. Leider war mein Jahr von einigen Infekten geprägt, die mich jeweils Training und Selbstvertrauen gekostet hatten. Hinzu kam der Gedanke, dass ich mich womöglich überschätzt hatte. Doch nun, kurz vor dem Start, waren diese Gedanken verschwunden. Ich traute mir den ZUT zu und hatte auch einen sehr professionellen Plan entwickelt:
- Wenn alles gut läuft, schaffe ich es in 22 Stunden.
- Wenn es schlecht läuft, dauert es länger.
- Priorität 1 hat meine Gesundheit. Wenn es nicht mehr geht, dann ist Schluss!
Gegen 20:30 Uhr machten wir uns auf den Weg zum Start. Ich bin gerne etwas früher vor Ort, damit es nicht stressig wird. Es kann ja immer sein, dass man noch etwas vergessen hat. Je näher wir dem Startbereich kamen, desto stärker wurde die ganz besondere Stimmung. Irgendwann musste ich mich vor Ort auch von Christian verabschieden. Bevor ich in den Startbereich durfte, wurde meine Pflichtausrüstung kontrolliert. Ja, und dann hatte mein letztes Stündlein geschlagen. Also das letzte Stündlein vor dem Start.




Der Zugspitz Ultratrail führt auf einer Distanz von 106 Kilometern einmal um das Zugspitz-Massiv herum. Dabei sind 5293 Höhenmeter zu überwinden. Dafür hat man maximal 27 Stunden Zeit. Start und Ziel sind in Garmisch-Partenkirchen. Und pünktlich um 22 Uhr ging es dann los.
Die erste Nacht
Der Start war spektakulär. Die ersten 1,5 oder vielleicht auch 2 km waren von Menschen gesäumt. Das war echt beeindruckend und eigentlich das perfekte Setting, um zu überziehen. Was mir diesmal zum Glück nicht gelang. Der Teil des Starterfelds, in dem ich mich befand, setzte sich mit einer Geschwindigkeit von rund sechs Minuten pro Kilometer in Bewegung.




Nachdem wir den Ort hinter uns gelassen hatten, wurden nach und nach die Stirnlampen angemacht. Das war eine ganz besondere Stimmung. Am Himmel leuchtete der fast volle Mond, während am Boden hunderte Stirnlampen wie an einer Perlenschnur ihren Weg durch die Dunkelheit suchten.
Die ersten fünf oder sechs Kilometer waren noch relativ flach, doch dann ging es endlich bergauf. Ich habe gehört, dass Trailrunner das lieben. Meiner Erfahrung nach ist Bergauflaufen aber vor allem eines: sehr anstrengend. Dieser erste Anstieg war zugleich eine Engstelle, durch die sich das Feld entzerrte. Nach dieser Engstelle hatte ich im gesamten Rennen nicht mehr das Gefühl, dass es irgendwo zu eng war oder dass man nicht überholen bzw. überholt werden konnte.
Die ersten Kilometer – pardon, Stunden – liefen ganz gut. Ich fand einen Rhythmus und lief der Dunkelheit entgegen. Nach knapp 1,5 Stunden erreichte ich den ersten Verpflegungspunkt am Eibsee. Das Timing war perfekt, denn meine Trinkflaschen waren bereits leer. Trotz des späten Starts war es immer noch ziemlich warm. Und das sollte am nächsten Tag nicht anders werden.
Auf dem Weg zur nächsten Verpflegungsstation warteten zwei Skipisten auf mich. Eine musste ich hinauf und die andere hinab laufen. Das war ganz schön anstrengend, vor allem bergab.
Es gibt nämlich grob zwei Typen von Trailrunnern. Die einen rennen den größten Teil der Strecke und gehen lediglich bei steilen und technisch anspruchsvollen Bergaufpassagen in schnelles Wandern über. Bergab laufen, springen und rennen diese Athleten.
Und dann gibt es mich. Auf der Ebene oder bei einer moderaten Steigung laufe ich auch. Wenn es aber steiler wird, verfalle ich in den Wandermodus. Auf der gesamten Strecke ging es sehr viel nach oben. Danach ging es wieder runter. Schnell stellte sich für mich heraus, dass mir der technische Anspruch der Strecke ein bisschen zu hoch war. In der Dunkelheit traute ich mich nicht, die technisch anspruchsvollen Passagen schnell bergab zu laufen. Mit technisch anspruchsvoll meine ich Wege voller Steine, Geröll, Wurzeln und Löcher. Da hatte ich schlicht und ergreifend Angst, umzuknicken oder zu stürzen.






Die Nacht hatte schon etwas Besonderes. Es war ja nie völlig dunkel. Zum einen gab es reichlich Mondlicht, zum anderen leuchteten die vielen Stirnlampen. Nach der dritten Verpflegungsstation wartete dann auch schon die erste große Herausforderung des Rennens. Der Anstieg zum höchsten Punkt der Strecke stand bevor. Mittlerweile war die Temperatur so weit gefallen, dass ich nicht mehr schwitzte und sogar ein dünnes Langarmshirt anzog.
Für den Aufstieg brauchte ich knapp eineinhalb Stunden. Der Weg war technisch anspruchsvoll und sehr mühsam. Er führte stetig bergauf und bestand aus einer Mischung aus größeren Steinen und Geröll. Im Licht meiner Stirnlampe sah es so aus, als würde die Strecke im letzten Teil über einen Grat führen, auf dem es links und rechts ziemlich weit nach unten ging. Zum Glück war es hier so anstrengend, dass ich mir gar keine Sorgen machen konnte.
Später habe ich einigen Freunden eine Sprachnachricht gesendet, in der ich erzählt habe, dass das wohl das Gefährlichste war, was ich bisher gemacht habe. Aber wer weiß … vielleicht sah es auch schlimmer aus, als es war.
Was jedenfalls sehr gut aussah, war die Aussicht vom höchsten Punkt der Strecke. Dort stand ich um 4:20 Uhr, kurz vor Sonnenaufgang. Ich war zwar schon ziemlich erledigt vom Aufstieg, aber der Ausblick im Mondschein war wunderschön.



Sonnenaufgang in den Bergen
In den nächsten Stunden ging die Sonne auf, was ein echtes Schauspiel war. Es sah geradezu magisch aus und ich war dankbar, das erleben zu dürfen. Mit der aufgehenden Sonne stiegen auch die Temperaturen an.
Kurz vor 7 Uhr erreichte ich den vierten Verpflegungspunkt. Dort warteten kühle Getränke und Christian auf mich. Er erzählte mir, dass er nur wenige Minuten vor mir am Verpflegungspunkt angekommen war. Ich habe mich sehr gefreut, ihn zu sehen. Er würde für den Rest des Rennens ein wichtiger Ankerpunkt für mich werden. Jetzt war ich einfach glücklich, mich für ein paar Minuten auszuruhen, heiße Suppe und kalte Isodrinks zu mir zu nehmen und kurz mit ihm zu plaudern.
Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit über 9 Stunden unterwegs und hatte ungefähr 41 Kilometer und 2.600 Höhenmeter hinter mir. Es würde ein langer Tag werden, vor allem, da Temperaturen von über 30 Grad angekündigt waren.







In den nächsten Stunden stieg die Temperatur kontinuierlich an, weshalb ich darauf achtete, genügend zu trinken. Mit Christian war ich an der nächsten Verpflegungsstation verabredet, die noch 12 km und zahlreiche Höhenmeter im Auf- und Abstieg entfernt war. Auf dieser Etappe merkte ich, dass ich überhaupt keine Zeiten mehr schätzen konnte. Zwar war ich zuvor schon längere Strecken gelaufen, beispielsweise im Training oder auch beim Rennsteiglauf. Aber ich war noch nie über 2.000 Höhenmeter gelaufen. Außerdem war ich noch nie in den Alpen unterwegs gewesen. Die langen Anstiege und die für mich teilweise sehr schwer begehbaren Wege machten jede Art der Prognose zunichte.
So brauchte ich für die 12 km über drei Stunden. Christian erzählte mir später, dass auch die anderen Supporter anfingen, sich Sorgen zu machen, da ihre Leute nicht kamen. Anscheinend war die Strecke für viele schwerer als gedacht. Neben den bereits beschriebenen Herausforderungen kam für mich nun auch noch die Sonne hinzu. Es wurde zunehmend wärmer und ich schwitzte wie in der Sauna.
Die Sonne brennt
Und das war auch ein sehr wichtiger Punkt. Wenn man nämlich viel schwitzt, muss man auch viel trinken. Bis zur vierten Verpflegung hatte ich immer zwei Flaschen mit je einem halben Liter Isogetränk dabei. An der vierten Verpflegungsstation hatte ich mir sicherheitshalber noch eine dritte Flasche aufgefüllt, was sich als gute Entscheidung herausstellte. Denn als ich endlich an der V5 ankam, waren meine Vorräte leer.
Glücklicherweise gab es an der Verpflegungsstation aber mehr als genug zu trinken. Und nicht nur das. Mit der V5 hatte ich die Hälfte der Strecke und mehr als die Hälfte der Höhenmeter geschafft. Es wurde sogar noch besser. Der Veranstalter hatte nämlich einen Pizzaofen aufgebaut, sodass ich mich mit frischer Pizza stärken konnte. Das tat gut und war ein toller Kontrast zur eher süßen Ernährung der vergangenen Stunden.




Außerdem gab es hier den Dropbag. Ich hatte vor dem Start einen Rucksack mit frischer Kleidung abgegeben, auf den ich jetzt zugreifen konnte. Es war großartig, nach über 12 Stunden die verschwitzten Sachen gegen neue Kleidung zu tauschen. Ganz mutig zog ich auch meine Socken aus. Ja, da waren zwei dicke Dinger, die dort eigentlich nicht hingehörten. Ich versorgte die beiden Blasen mit Blasenpflastern und zog neue Socken an. Das Ganze war zum Glück nicht so schlimm und ich machte mir deswegen keine Sorgen.








Nach einer Pause von rund 20 Minuten machte ich mich wieder auf den Weg. Diesmal hatte ich übrigens vier gefüllte Flaschen dabei. Es folgte ein relativ flacher Abschnitt, der sich deutlich besser laufen ließ. Interessant war, dass ich mich noch echt gut fühlte. Natürlich war ich schon erschöpft und der Gedanke, in einen kühlen See zu springen, war sehr verlockend. Aber ich war nicht kaputt. Mir taten keine Gelenke weh. Meine Beine waren nicht schwer wie Blei, sondern nur etwas müde. Zwar war ich langsamer als beispielsweise beim Rennsteiglauf unterwegs, dafür aber schon deutlich länger. Außerdem hatte ich deutlich mehr Höhenmeter hinter mich gebracht. Das gab mir ein gutes Gefühl und ich war zuversichtlich, dass ich diesen Lauf ins Ziel bringen würde. Auch wenn es sicher ein langer Tag werden würde.
Unterwegs machte ich bei jedem Gebirgsbach einen kurzen Stopp, um mich abzukühlen. Ich hielt den Kopf ins Wasser und befeuchtete die Cap und das Tuch, das ich mir als Sonnenschutz um den Nacken geklemmt hatte. Das erinnerte mich an eine Wüstensafari, aber hey, es war auch echt warm.
Bis zum Verpflegungspunkt 6 lief alles gut. Mein Magen spielte übrigens auch sehr gut mit. Denn bei so einer langen Tour braucht man schließlich auch viel Energie. In meinem Fall bestand diese aus vielen Litern Iso-Getränken, Cola, Riegeln, Gels, Pizza, Suppe und Salzbrezeln. Das hat für mich sehr gut funktioniert. Vor allem die salzigen Sachen waren wichtig. Zum einen waren sie eine willkommene Abwechslung, zum anderen halfen sie dabei, regelmäßig Salz und Elektrolyte zu sich zu nehmen.





Am Verpflegungspunkt 7, der sich kurz vor Schloss Elmau, einer echten Sehenswürdigkeit, befand, gab es dann noch eine lustige Episode. Ich sprach mit Christian darüber und er meinte, dass ich das gleich sehen würde. Anscheinend war ich zu dem Zeitpunkt aber schon mental ein wenig erschöpft. Ich sah es nämlich nicht. Später klärte mich Christian darüber auf, dass ich lediglich den Kopf nach links hätte drehen müssen. Auf den offiziellen Fotos vom Veranstalter sah ich dann auch einen Schnappschuss, der mich und das Schloss zeigt.
Unser nächster Treffpunkt war V9. Die Anreise dorthin war etwas aufwändiger, da Chris ein Stück mit der Seilbahn fahren musste. Für mich waren es von der V7 bis zur V8 ca. 13 km und von dort aus noch einmal 4,5 km bis zur V9. Es gab immer wieder kürzere Abschnitte, die ich ganz gut laufen konnte. Allerdings hatten die bisherigen 70 Kilometer und über 3.500 Höhenmeter ihren Tribut gefordert. Es lief nicht mehr alles so richtig geschmeidig. Dazu kam die Hitze. Ich achtete peinlich genau auf meine Ernährung, vor allem darauf, genügend zu trinken, und lief so gut es eben ging. Glücklicherweise hatte ich immer noch keine Schmerzen (abgesehen von den Blasen, die aber nicht sehr schlimm waren).
Auf dem Weg zur V8 hatte ich dann auch noch einen technischen Defekt. Einer meiner Stöcke ist leider kaputtgegangen. Ich hatte Faltstöcke dabei, die mir sehr gute Dienste geleistet haben. Ich finde sie bei Bergaufpassagen sehr hilfreich und hatte beim Wandern auch immer gerne Stöcke dabei. Für das Trailrunning hatte ich mir besonders kompakte Stöcke gekauft, die sich in drei Teile falten ließen. Um sie zu arretieren, musste man die drei Teile ineinanderstecken und dann den Griff noch einmal ca. 20 cm ausziehen. Dann rastete dieser ein und fixierte alles. Nun, leider quittierte dieser Fixierungsmechanismus in einem meiner Stöcke den Dienst. Das bedeutete, dass ich diesen Stock zwar noch belasten konnte, er aber 20 cm kürzer war als der andere Stock. Zu dem Zeitpunkt war ich allerdings schon so tiefenentspannt, dass ich es einfach akzeptierte.
Auf dieser Etappe sah ich auch einige Leute, die vermutlich nicht mehr ins Ziel gekommen sind und die vor allem von der Hitze gezeichnet waren.
Als ich bei V8 angekommen war, sah ich eine SMS des Veranstalters auf meinem Handy. In den Bergen hatte es eine Unwetterwarnung gegeben, sodass die Strecke geringfügig angepasst werden musste. Das bedeutete konkret, dass wir von der V8 nur noch die halbe Strecke zur V9 gehen durften und von dort aus direkt zur V10 weitergehen mussten. Dadurch würden uns ca. 5 km und 250 Höhenmeter fehlen.
Ich schaute auf meine Uhr. Trotz der Verkürzung würde ich auf über 100 km kommen. Damit war ich absolut einverstanden. Denn obwohl ich nicht komplett zerstört war, war es bereits ein sehr langer Tag gewesen. Mein Ziel war es schließlich, vor allem gesund nach Garmisch zurückzukommen und die magischen 100 km zu knacken.
Und so machte ich mich von der V8 aus auf den Weg zur sogenannten Cheering Zone, einem der größten Hotspots auf der Strecke. Bis dorthin galt es, noch 2,5 Kilometer und 500 Höhenmeter zu überwinden. Ich glaube, das waren die anstrengendsten 2,5 Kilometer meines Lebens. Vor allem die zweite Hälfte der Strecke, die auf engen Serpentinen den Großteil der Höhenmeter bereithält, war extrem anspruchsvoll. Das war sehr anstrengend, weil mir zu diesem Zeitpunkt langsam, aber sicher die Kraft ausging. Obwohl man die Cheering Zone und damit das Etappenziel schon von weitem hören konnte, dauerte es ewig, bis ich endlich oben war.




Dort wartete übrigens auch Chris wieder auf mich. Es war schön, ihn zu sehen. Nun ja, und dann ging es eigentlich nur noch bergab bis nach Garmisch. An schnelles Laufen oder gar Rennen war bei mir aber leider nicht mehr zu denken. Gerade bergab ließen mich meine Oberschenkel deutlich spüren, dass sie keine Kraft mehr hatten. Aber wie sagt man so schön? Runter kommen sie immer. Und das stimmte auch in meinem Fall.
Die zweite Nacht
Was ich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls deutlich spürte, war mentale Erschöpfung. Es fiel mir zunehmend schwer, mich zu konzentrieren. Irgendwann kam dann auch die V10. Und dann setze langsam auch die Dämmerung an und die zweite Nacht kündigte sich an. Ich setzte meine Stirnlampe auf und konzentrierte mich besonders auf den Weg bergab. Denn mir war klar, dass eine kleine Unachtsamkeit völlig ausreichen würde, um hier kurz vor dem Ziel noch zu stürzen.
Die letzten Kilometer standen an und ein paar Mal rutschte ich weg. Ich konnte mich aber zum Glück jedes Mal wieder fangen. Und als ich die Peripherie von Garmisch erreichte, wich das Geröll feinstem Asphalt.
Meine Uhr näherte sich den 100 km. Bei 99,99 km nahm ich mein Handy und filmte genau den Moment, als sie auf 100,00 umschaltete. Das war ein echt cooles Gefühl. Genauso cool war es, als ich nach über 24 Stunden endlich das Ziel erreichte. Ich hatte den ganzen Tag nicht daran gezweifelt. Aber als ich den Zielbogen vor mir sah, kann es schon sein, dass ich plötzlich etwas im Auge hatte.



Fazit
Der Zugspitz Ultratrail war eine fantastische Erfahrung. Am Ende hatte ich 101 Kilometer und knapp 5.000 Höhenmeter auf meiner Uhr. Das ist mehr, als ich je in meinem Leben am Stück zurückgelegt habe. Damit endet für mich das Projekt Ultratrail. Es war eine sehr spannende Erfahrung, aus der ich viel gelernt habe.
Während des Rennens habe ich etwa 18 Liter getrunken. Vorwiegend isotonische Getränke und den einen oder anderen Liter Cola. Außerdem habe ich ca. 15 Gels, 8 Riegel, 10 Becher Suppe, 5 Stücke Pizza, eine Portion Gnocchi mit Salz und einige Hände voll Salzbrezeln zu mir genommen. Ich hatte keine Gelenkschmerzen oder übermäßige muskuläre Probleme. In den Tagen danach war ich ziemlich müde und dehydriert. Aber das war alles viel weniger, als ich befürchtet hatte.
Das alles hätte natürlich noch besser funktioniert, wenn ich mehr trainiert hätte. Allerdings war das ja mein großes Thema. Aus orthopädischen Gründen kann ich keine Trainingswochen mit 80–120 km absolvieren. Bei mir waren es 50–60 km und das habe ich gemerkt. Vor allem die vergleichsweise wenigen Höhenmeter. Aber hey, dafür lief es unverschämt gut. Als ich Christian erzählte, dass ich vorher noch nie ernsthaft in den Alpen gelaufen oder gewandert bin, schaute er sehr ungläubig. Und er hatte natürlich recht damit.
Ohne Christians Unterstützung wäre das Projekt für mich nicht so positiv verlaufen. Es war unglaublich gut zu wissen, dass ich mich auf jemanden verlassen kann. Das hat wirklich maßgeblich zum Gelingen beigetragen. Ich bin dankbar, so tolle Freunde zu haben.
Und wie geht es jetzt weiter? Nun ja, nach dem Rücktritt vom Ultratrail wird es ein Comeback im Triathlon geben. Ich habe in den letzten Monaten gemerkt, dass mir etwas fehlt.
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